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Das vom Württembergischen Verein für Handelsgeographie gegründete handelsgeographische Museum, der Vorläufer des heutigen Linden-Museums, legte seinen Fokus zunächst auf Waren- und Produktmuster und verfolgte ökonomische Ziele. Erst in den 1890er Jahren wendete sich der Schwerpunkt hin zum ethnologischen Sammeln. Von den ursprünglichen Handelsobjekten ist heute kaum noch etwas vorhanden und der Verbleib unbekannt.
Das Hauptaugenmerk lag in der Folgezeit auf Alltags-, Gebrauchs-, sowie Kunstgegenständen. Regionale Schwerpunkte bildeten dabei die ehemaligen deutschen Kolonien. Zu den Kernsammlungen gehörten die Bereiche Afrika, die Amerikas und Ozeanien. Afrika stellt dabei die größte Sammlung dar und umfasst heute noch etwa 40.000 Objekte. Innerhalb der Sammlung Afrika weist Kamerun die meisten Objekte auf. Zusammen mit Objektsammlung wurde auch eine Karten- und eine sehr umfangreiche Fotosammlung angelegt.
1910 hatte das Museum bereits über 60.000 Objekte in seinem Bestand. Maßgeblich dafür verantwortlich war der Vereinsvorsitzende Karl Graf von Linden. Er verstand es geschickt ein riesiges Kontaktnetzwerk quer über den Globus aufzubauen und potentielle Sammler:innen zu umwerben, und für sich und das Museum zu gewinnen. Aufgrund seiner früheren Tätigkeit am Königshof von Württemberg konnte er eine königlich-württembergische Ordensverleihung für bedeutende Objekt-Schenkungen anbieten, was weithin bekannt war. Der Großteil der Museumsobjekte wurde zu dieser Zeit geschenkt.
Spätere bedeutende Übernahmen wie z.B. vom Landesgewerbemuseum Stuttgart, vom Königlichen Naturalienkabinett Stuttgart, Bestände aus dem Krongut oder der Ankauf der Objekt- und Fotosammlung des Kolonialmuseums Berlin vergrößerten den Objekt bestand. 1962 wurde mit der Stuttgarter Badakhshan Expedition zudem die erste eigene Expedition des Museums durchgeführt.
Eine wichtige Zäsur der Sammlungsgeschichte stellt das Jahr 1973 mit der Verstaatlichung des Museums dar. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Verstaatlichung wurde ein reger Handel mit Objekten betrieben. Objekte wurden verkauft oder eingetauscht, vorzugsweise bei Ethnografika-Händlern. Daher tauchen auch heute noch immer wieder ehemalige Objekte des Linden-Museums auf dem Kunstmarkt auf. Durch die Verstaatlichung wurde dem System Einhalt geboten. Zeitgleich ermöglichte dies, dass seit 1974 Neuzugänge über die Mittel des Zentralfonds und der Museumsstiftung finanziert werden können.
Anfang der 1970er Jahre wurde mit dem Aufbau der Sammlungsbereiche „Orient“, Süd- und Ostasien begonnen. Erwerbungen bis in die 1990er Jahre stammen vorwiegend aus dem Kunsthandel.
Das Linden-Museum bewahrt und erwirbt seit 1884 Alltags-, Ritualgegenstände und Kunstobjekte. Aus dieser historischen Perspektive heraus konzentrieren sich die Sammlungen auf außereuropäische Kontexte. Die Erweiterung der Sammlung erfolgt heute zunehmend in partnerschaftlichem Austausch mit Interessensvertreter:innen aus den Herkunftsgesellschaften und der Stadtgesellschaft. Zu den neuen Erwerbsformen gehören insbesondere gemeinsame Recherchen und Entscheidungen über Sammlungsergänzungen.
Erworben werden formal und ästhetisch aussagekräftige und für die kulturelle Identität bedeutende Objekte, die eine Fortführung von Traditionen oder moderne künstlerische Auseinandersetzungen zeigen und spezifischen Schwerpunkten der jeweiligen Sammlungen zugeordnet werden können. Der konservatorische Zustand der Objekte ist dabei zu berücksichtigen. Die wissenschaftliche Dokumentation von Erwerbskontexten ist zu beachten. Es sollen nach Möglichkeit auch Objekte, Aufnahmen, Fotos, Filme, Dokumente oder Bücher, die den Kontext der erworbenen Objekte beleuchten, mit gesammelt werden.
Bei Ankäufen, aber auch bei Schenkungen und Spenden ist die Provenienz der Objekte zu beachten. Lediglich Objekte, die nach dem UNESCO-Abkommen von 1972 und den ICOM-Richtlinien als ethisch unbedenklich eingestuft werden, können in die Sammlungen aufgenommen werden. Bei Spenden ist ein Übergabeformular samt Angaben zur Objektbiografie auszufüllen.
Alle Erwerbungen werden zeitnah mit ihren jeweiligen Kontexten in die Sammlung digital aufgenommen und transparent der Öffentlichkeit präsentiert. Das Linden-Museum ist sich seiner großen Verantwortung gegenüber den Sammlungen bewusst. Es bewahrt diese im Auftrag des Landes Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart.
Provenienzforschung bezeichnet die Auseinandersetzung mit der Geschichte von Sammlungsobjekten seit ihrer Entstehung bis in die Gegenwart. Durch eine biografische Annäherung wird ihre Herkunft und ihr Weg in heutige Sammlungen z.B. an Hand von Vorbesitzer- und Voreigentümerverhältnissen, früheren Sammlungszugehörigkeiten und dem weiteren historischen Kontext untersucht. Hier spielen auch die Erwerbsumstände eine Rolle, sowohl im Ursprungsland selbst, wie auch der Moment des Eingangs in das Museum.
Kolonialismus beschreibt ein mit der europäischen Expansion im 15. Jahrhundert einhergehendes Fremdherrschaftssystem mit ungleichen Machtverhältnissen, in dem Objektaneignungen gewaltsam erfolgt sein können, das aber auch nicht immer der Fall war. Für eine Beurteilung im Rahmen der Provenienzforschung ist daher die Erforschung des komplexen historischen (kolonialen) Kontextes wichtig. Als Quelle hierfür dienen nicht nur archivalische Schriftstücke, sondern genauso das Wissen von Menschen aus den Herkunftsgesellschaften. Ergebnisse der Provenienzforschung müssen zudem in vielen Fällen als vorläufig und nicht abgeschlossen angesehen werden, da stets neue Quellen auftauchen können.
Die Begriffe „Herkunft“ und „Provenienz“ haben also sowohl einen örtlichen und zeitlichen als auch einen kulturellen Bezug. Dieser Ansatz bietet die Möglichkeit anhand der Biografien von Objekten und Personen globale kulturelle Prozesse in der Vergangenheit und ihr Fortwirken in der Gegenwart zu untersuchen. In ethnologischen Museen ist Provenienzforschung ein grundlegender Bestandteil der Museumsarbeit und wird nicht nur durch das Referat Provenienzforschung, sondern auch von den Regionalreferaten betrieben. Sie ist eine Auseinandersetzung mit der Verbindung zwischen dem eigenen Sammlungsaufbau und der Kolonialgeschichte.
Ethnologische Museen können damit erheblich zur öffentlichen Diskussion deutscher Kolonialgeschichte beitragen. Aufgrund des Fortwirkens von in kolonialen Zeiten entstandenen ökonomischen, sozialen und politischen Ungleichheiten und der andauernden Zirkulation von in kolonialen Situationen erworbenen Objekten (z.B. auf dem Kunstmarkt), ist deren Aufarbeitung heute nach wie vor von höchster Relevanz. Um dem gerecht zu werden, gibt es seit 2021 eine unbefristete Stelle für Provenienzforschung am Linden-Museum.
Provenienzforschung NS-Zeit (2016 – 2017)
Das Projekt wurde gefördert durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart. Mehr Informationen hier.
Schwieriges Erbe (2016 – 2018)
Ein Forschungsprojekt zum museologischen und wissenschaftlichen Umgang mit kolonialzeitlichen Objekten in ethnologischen Museen. Eine Kooperation des Linden-Museum Stuttgart und der Universität Tübingen.
Mehr Informationen hier.
LindenLAB – Partizipation, Provenienz, Präsentation (2018 – 2022)
Das Projekt wurde gefördert im Rahmen der Initiative für Ethnologische Sammlungen der Kulturstiftung des Bundes. Mehr Informationen hier.
With Namibia: Engaging the Past, Sharing the Future (2019 – 2022)
Ein Projekt innerhalb der „Namibia-Initiative“ des Landes Baden-Württemberg, gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Mehr Informationen hier.
Tel. +49.711.2022-422
Mail: himmelsbach@lindenmuseum.de
Das Linden-Museum Stuttgart wurde in der Kolonialzeit gegründet und hat in der Vergangenheit dazu beigetragen, eine kulturelle Hierarchisierung zwischen Europa und dem „Rest der Welt“ zu verfestigen. Wir stellen uns aktiv und selbstkritisch unserer Vergangenheit und nehmen die Verantwortung für die Sammlungsbestände des Museums sehr ernst.
Restitutionsersuchen von Angehörigen und Interessensvertreter:innen der Herkunftsgesellschaften treten wir offen gegenüber. Wir teilen Wissen über Sammlungen und deren Erwerbskontexte transparent mit den Nachfahren der Herkunftsgesellschaften und mit unseren Besucher*innen. Als eines der wenigen ethnologischen Museen in Deutschland haben wir am Haus eine unbefristete Stelle für Provenienzforschung geschaffen.
Im Umgang mit kolonialen Sammlungsbeständen, menschlichen Überresten (human remains) und Kulturgut folgen wir dem Leitfaden des Deutschen Museumsbundes.
Restitutionsersuche werden gemeinsam mit den Anspruchsteller*innen sorgfältig und zeitnah geprüft. Grundsätzlich befürworten wir Restitution im Rahmen einer respektvollen Zusammenarbeit. Der überwiegende Teil der Sammlungen des Linden-Museums ist Eigentum des Landes Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart. Das Museum agiert dabei als wichtiger Ansprechpartner gegenüber dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, das letztlich, zusammen mit der Stadt Stuttgart, über Restitutionen entscheidet.
Tel. +49.711.2022-400
Mail: decastro@lindenmuseum.de
Dienstag bis Samstag, 10 – 17 Uhr
Sonn- und Feiertage, 10 – 18 Uhr
Ausstellungen
Sonderausstellungen
Dauerausstellungen