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2004 wurde INDIGEN – Das Nordamerika-Filmfestival von Gunter Lange und Sonja Schierle, damals Referentin für Nordamerika am Linden-Museum, ins Leben gerufen. Dieses Jahr feiert das Festival, dessen Partner wir sind, seine zehnte Ausgabe. Im Gespräch erzählt Sonja Schierle als Co-Kuratorin des Festivals über dessen Bedeutung und besondere Filme in diesem Jahr.
Martin Otto-Hörbrand: Das Festival hat von Anfang an mit indigenen Partnerinstitutionen zusammengearbeitet. Wie kam es 2004 zum ersten Festival?
Sonja Schierle: Ich wusste über das Sundance Festival, dass es großartige Filme gibt, die von Indigenen selbst produziert wurden – Filme über indigene Kulturen und Lebensrealitäten, die hier in Europa überhaupt nicht bekannt waren, die man also weder im Fernsehen geschweige denn im Kino je gesehen hat. Und ich wollte das zeigen. Dann traf ich Gunter Lange, der die gleiche Idee hatte. Er hatte Kontakt zu Michael Smith vom Indian Film Institute und Festival in San Francisco und dort auch mitgearbeitet. Und mit Michael haben wir dann beschlossen: Lass uns zusammenarbeiten und uns in Stuttgart starten. Mit vielen Partnern in der Stadt – und
bis heute mit viel ehrenamtlichen Engagement – haben wir dann das erste Festival organisiert. Über die Jahre sind viele Kooperationen – auch mit Universitäten und Schulen – dazu gekommen. Auch die Netzwerke in Nordamerika haben wir aktiv ausgebaut, so dass unser Festival in den USA und Kanada in indigenen Kreisen richtig bekannt ist.
Martin Otto-Hörbrand: Heißt das, wenn ihr heute Gäste anfragt, dann wissen die schon: „Ah, klar, Stuttgart!?“
Sonja Schierle: Sie müssen uns nicht persönlich kennen, aber sie wissen, dass es das Festival gibt und es wird ganz, ganz hochgeschätzt. Es ist ja das einzige seiner Art in ganz Europa. Weitere feste Partner seit Jahren sind das Dreamspeakers International Filmfestival in Edmonton als renommiertes indigenes Filmfestival in Kanada und auch das Institut of American Indian Arts in Santa Fé. James Lujan, der dort den Filmbereich leitet, ist dieses Jahr auch wieder Gast. Er regt seine Studierenden immer an, Filme auszuwählen für unser Festival, die wir dann präsentieren. Und das sind wirklich Pionierfilme von jungen Filmemacher:innen, die wir sonst nie im Leben sehen würden. Filme, die fragen: Ich als indigener junger Mensch – wie sehe ich meine Zukunft? Wie sehe ich mich in dieser diversen Gesellschaft? Die Gespräche mit den Gästen darüber sind einfach wirklich etwas. Das kann man nicht mit Geld aufwiegen. Das sind wirklich großartige Erfahrungen.
Martin Otto-Hörbrand: Sonja, bis heute Abend läuft das Festival noch. Was war filmisch für dich das Besondere an dieser Jubiläumsausgabe?
Sonja Schierle: Dieses Jahr waren und sind Filme dabei, die ein ganz neues Format haben. Zum Beispiel der Film Something Inside is Broken von Jack Kohler. Das ist eine Art Musical. In diesem Film reflektiert er den Goldrausch in Kalifornien, wo er selbst herkommt. Und er fragt nicht: Was ist dieser Goldrausch? Was hat ihn ausgelöst? Sondern: Was hat der Goldrausch für die indigene Bevölkerung gebracht und wie hat sich das auf ihre gesamte Situation ausgewirkt, und zwar vor allem auf ihre angestammten Rechte? Die Vertragsrechte werden quasi wie vor einem Gericht reflektiert und das im Stile einer „Rock Opera“, wie Jack selbst den Film am Eröffnungsabend beschrieb. Das war spannend, weil das ein Format im indigenen Film völlig neu ist. Bisher lag ein sehr starker Schwerpunkt im Filmschaffen auf Dokumentation – Spielfilme spielten wegen der hohen Produktionskosten eine geringere Rolle. Deswegen ist das jetzt interessant, dass hier völlig neue Wege gefunden werden bei der Filmsprache. Sehr gespannt bin ich auch, wie die Reaktion des Publikums sein wird auf ein Format TimeTraveller von Skawennati. Hier geht es um einen Avatar, der die Zeiten überwinden und sich in verschiedenen Realitäten bewegen kann. Es ist einfach als animierter Science-Fiction-Film nicht das, was vielleicht klassischerweise bei diesem Festival erwartet wird. Auch Musikvideos sind dieses Jahr mit einer eigenen Session wieder dabei. Hier kann das Publikum über den Preis abstimmen. Beeindruckt hat mich auch der Film Les filles du roi, den der Regisseur Corey Payette und die Darstellerin Julie McIsaac vorgestellt haben. Wieder ein Musical. Und auch wieder eine Geschichte, die hier bei uns in Deutschland so gut wie überhaupt nicht bekannt ist, nämlich dass Frankreich, um seine Kolonien in Kanada zu besiedeln, junge Frauen dorthin geschickt hat. Diese sollten dort junge Siedler heiraten, um die französische Kultur aufrechtzuerhalten und diese Kolonie zu bevölkern. Möglichst viele Kinder, große Familien. Man wollte ganz gezielt verhindern, dass Siedler Familien mit indigenen Frauen gründen. Eine ganze Reihe bekannter Personen wie Madonna oder Hillary Clinton haben Vorfahren, die auf diese Siedlungspolitik zurückgehen.
Das Filmprogramm ist noch bis 16. Februar im Treffpunkt Rotebühlplatz in Stuttgart zu sehen. Nähere Informationen: www.nordamerika-filmfestival.com
Dienstag bis Samstag, 10 – 17 Uhr
Sonn- und Feiertage, 10 – 18 Uhr